Donnerstag, 19. Dezember 2013

Weihnachten (Hexameter, Volksliedstrophe)

Heiligabend, es sitzt die Familie am Wohnzimmertische
außer die Mutter, sie steht in der Küche und schneidet und brutzelt
zahlreiche Speisen, die später alle mit Wonne verschlingen.
Doch dann passiert es – ungute Düfte entweichen dem Ofen:
»Himmel, der Braten«  entfährt es der Mutter in hellblauer Schürze,
kohlrabenschwarz ist die Kruste des Fleisches von glühender Hitze,
»Frau«, ruft der Vater, »dass Du nicht im Griff hast nach so vielen Jahren
Deine Pflicht, die Pflicht aller Frauen, das lässt mich verzweifeln.«
Der hat gesessen. Kreideweiß, das Holz in den Händen
stürmt die Geschmähte mit flackerndem Blick dem Manne entgegen,
trifft ihn von oben auf klingenden Schädel und lässt ihn dann liegen
auf glänzendem Boden von edlem Holze.

Regeln des Hexameter:
6 Hebungen (= 6 Takte)
13-17 Silben
Takt 1-4: 2-3 Silben (Füllungsfreiheiten)
Takt 5: 3 Silben
Takt 6: 2 Silben
weibliche Kadenz (Zeile endet mit unbetonter Silbe)
auftaktlos
reimlos



Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief –
Doch jener erwachte und bohrte tief
In Cäsars Brust das kalte Messer!

Die Römer waren Tyrannenfresser
[…]

Regeln der Volksliedstrophe und -zeile:
4 Zeilen
3-4 Hebungen
meistens Kreuzreim (abab) oder umarmender Reim (abba)
Paarreim (aabb – Beispiel oben) geht auch

Weihnachten (dramatischer Text)

Heiligabend, draußen bimmelt eine Kirchenglocke

Vater: jetzt kommt doch mal endlich alle an den Tisch, seht mal, wie schön das dampft…
Sohn: (hat die Kopfhörer halb auf, sitzt über sein Telephon gebeugt) ja, gleich...
Tochter: (sitzt schon längere Zeit gebeugt in einer Ecke des Sofas, schluchzt plötzlich auf und schüttelt sich vor Weinkrämpfen)
Vater: was ist denn, Nadja?
Sohn: ach, die und ihr Penner …
(im Hintergrund ist Männergesang zu hören, die Mutter hat die CD mit orthodoxen russischen Weihnachtsliedern aus dem Kaukasus doch noch gefunden und eingestellt)
Tochter: (wütend) er heißt Tom! Tom heißt er! Tom! Tom! Tom! (schluchzt weiter)
Vater: und was ist mit Tom?
Tochter: (schreit) nichts!
der Sohn hat die Kopfhörer ausgezogen, man hört die scheppernden Klänge einer neuseeländischen Metalband. Sie vermischen sich mit den Tiefen Russlands. Die Mutter blickt konsterniert zu ihm rüber, er grinst zurück
Vater: also dann könnt ihr ja auch an den Tisch kommen, wenn der Braten abkühlt, sonst wird er trocken…
Mutter: Jetzt sei doch nicht so ungeduldig, erst noch der Wein… (zu Nadja) also dieser Tom, hat der eigentlich eine Schwester? ich glaub nämlich, ich hab ihn gestern von weitem gesehen …
Vater: haaaallooooo 
Mutter: … und da war so eine junge Frau, sehr auffällig gekleidet, erst dachte ich, das muss seine Schwester sein, so vertraut, wie die da standen und sich ansahen, sie sah aber auch deiner Freundin ähnlich, wie heißt die …
Tochter: (blickt sie fragend an)
Der Vater schenkt sich ein weiteres Glas Wein ein, das dritte innert zwanzig Minuten
Sohn: (spöttisch) Also soviel ich weiß, hat der bloß zwei ältere Brüder
Vater: (hat das Glas in einem Zug geleert und schaufelt sich einen vollen Löffel Kartoffelgratin aus der Schüssel) (mit vollem Mund) das Rezept von dieser Arbeitskollegin ist wirklich gar nicht mal so schwierig
Mutter: (angewidert) du bist unmöglich
Sohn: der Tom ist eh ein Loser
Tochter (tritt nach ihm)
Mutter: … ah ja, die Lili war das …ist die derzeit nicht in Berlin, hast du gesagt … seltsam … wer das wohl war? 
Tochter: (blickt stumm auf ihren leeren Teller)
Vater: (hat inzwischen zu essen begonnen)
Mutter: (empört) ach, Thomas, das geht jetzt doch nicht, jetzt wart doch mal, du siehst doch, was mit deiner Tochter los ist
Sohn: Ist eigentlich noch von dem Vodka da?
Mutter Du willst jetzt doch nicht …
Vater: gnmmm (unverständliche Laute)
Sohn: jaja, ich mein ja nur, ihr lasst euch hier easy mit Wein vollaufen, und unsereins … egal
Tochter: Er ist kein Loser! (zur Mutter) Tom und Lili kennen sich, weil ihre Eltern befreundet sind (beginnt wieder zu schluchzen)
Sohn: wer’s glaubt …
Mutter irritiert sag mal, riecht ihr das auch?