Die Bürgschaft
1 Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon,
den Dolch im Gewande:
Ihn
schlugen die Häscher in Bande,
„Was
wolltest du mit dem Dolche? sprich!“
Entgegnet
ihm finster der Wüterich.
„Die
Stadt vom Tyrannen befreien!“
„Das
sollst du am Kreuze bereuen.“
2 „Ich
bin“, spricht jener, „zu sterben bereit
Und bitte nicht um mein Leben:
Doch
willst du Gnade mir geben,
Ich flehe dich um drei Tage Zeit,
Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
Ich lasse den Freund dir als Bürgen,
Ihn magst du, entrinn’ ich, erwürgen.“
3 Da
lächelt der König mit arger List
Und spricht nach kurzem Bedenken:
„Drei Tage will ich dir schenken;
Doch
wisse, wenn sie verstrichen, die Frist,
Eh’
du zurück mir gegeben bist,
So
muß er statt deiner erblassen,
Doch
dir ist die Strafe erlassen.“
4 Und
er kommt zum Freunde: „Der König gebeut,
Daß
ich am Kreuz mit dem Leben
Bezahle
das frevelnde Streben.
Doch
will er mir gönnen drei Tage Zeit,
Bis
ich die Schwester dem Gatten gefreit;
So
bleib du dem König zum Pfande,
Bis
ich komme zu lösen die Bande."
5 Und
schweigend umarmt ihn der treue Freund
Und
liefert sich aus dem Tyrannen;
Der
andere ziehet von dannen.
Und
ehe das dritte Morgenrot scheint,
Hat er schnell mit
dem Gatten die Schwester vereint,
Eilt
heim mit sorgender Seele,
Damit
er die Frist nicht verfehle.
6 Da
gießt unendlicher Regen herab,
Von
den Bergen stürzen die Quellen,
Und
die Bäche, die Ströme schwellen.
Und
er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab,
Da
reißet die Brücke der Strudel herab,
Und
donnernd sprengen die Wogen
Des
Gewölbes krachenden Bogen.
7 Und
trostlos irrt er an Ufers Rand:
Wie
weit er auch spähet und blicket
Und
die Stimme, die rufende, schicket.
Da
stößet kein Nachen vom sichern Strand,
Der
ihn setze an das gewünschte Land,
Kein
Schiffer lenket die Fähre,
Und
der wilde Strom wird zum Meere.
8 Da
sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
Die
Hände zum Zeus erhoben:
„O
hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
Die
Sonne, und wenn sie niedergeht
Und
ich kann die Stadt nicht erreichen,
So
muß der Freund mir erbleichen.“
9 Doch
wachsend erneut sich des Stromes Wut,
Und
Welle auf Welle zerrinnet,
Und
Stunde an Stunde entrinnet.
Da
treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
Und
wirft sich hinein in die brausende Flut
Und
teilt mit gewaltigen Armen
Den
Strom, und ein Gott hat Erbarmen.
10 Und
gewinnt das Ufer und eilet fort
Und
danket dem rettenden Gotte;
Da
stürzet die raubende Rotte
Hervor
aus des Waldes nächtlichem Ort,
Den
Pfad ihm sperrend, und schnaubert Mord
Und
hemmet des Wanderers Eile
Mit
drohend geschwungener Keule.
11 „Was
wollt ihr?“ ruft er vor Schrecken bleich,
„Ich
habe nichts als mein Leben,
Das
muß ich dem Könige geben!“
Und
entreißt die Keule dem nächsten gleich:
„Um
des Freundes willen erbarmet euch!"
Und
drei mit gewaltigen Streichen
Erlegt
er, die andern entweichen.
12 Und
die Sonne versendet glühenden Brand,
Und
von der unendlichen Mühe
Ermattet
sinken die Kniee.
„O
hast du mich gnädig aus Räubershand,
Aus
dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
Und
soll hier verschmachtend verderben,
Und
der Freund mir, der liebende, sterben!"
13 Und
horch! da sprudelt es silberhell,
Ganz
nahe, wie rieselndes Rauschen,
Und
stille hält er, zu lauschen;
Und
sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
Springt
murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
Und
freudig bückt er sich nieder
Und
erfrischet die brennenden Glieder.
14 Und
die Sonne blickt durch der Zweige Grün
Und
malt auf den glänzenden Matten
Der
Bäume gigantische Schatten;
Und
zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
Will
eilenden Laufes vorüber fliehn,
Da
hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt
wird er ans Kreuz geschlagen."
15 Und
die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
Ihn
jagen der Sorge Qualen;
Da
schimmern in Abendrots Strahlen
Von
ferne die Zinnen von Syrakus,
Und
entgegen kommt ihm Philostratus,
Des
Hauses redlicher Hüter,
Der
erkennet entsetzt den Gebieter:
16 „Zurück!
du rettest den Freund nicht mehr,
So
rette das eigene Leben!
Den
Tod erleidet er eben.
Von
Stunde zu Stunde gewartet’ er
Mit
hoffender Seele der Wiederkehr,
Ihm
konnte den mutigen Glauben
Der
Hohn des Tyrannen nicht rauben."
17 „Und
ist es zu spät, und kann ich ihm nicht,
Ein
Retter, willkommen erscheinen,
So
soll mich der Tod ihm vereinen.
Des
rühme der blut’ge Tyrann sich nicht,
Daß der Freund dem
Freunde gebrochen die Pflicht,
Er
schlachte der Opfer zweie
Und
glaube an Liebe und Treue!“
18 Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
Und
sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das
die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon
zieht man den Freund empor,
Da
zertrennt er gewaltig den dichter Chor:
„Mich,
Henker“, ruft er, „erwürget!
Da
bin ich, für den er gebürget!“
19 Und
Erstaunen ergreifet das Volk umher,
In
den Armen liegen sich beide
Und
weinen vor Schmerzen und Freude.
Da
sieht man kein Augen tränenleer,
Und
zum Könige bringt man die Wundermär’;
Der
fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt
schnell vor den Thron sie führen,
20 Und
blicket sie lange verwundert an.
Drauf
spricht er: "Es ist euch gelungen,
Ihr
habt das Herz mir bezwungen;
Und
die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
So
nehmet auch mich zum Genossen an:
Ich
sei, gewährt mir die Bitte,
In
eurem Bunde der dritte!“
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